Entdeckung von Monopolen des orbitalen Drehimpulses ebnet den Weg für neue Elektronik mit chiralen Materialien

Monopole des orbitalen Drehimpulses – eine bahnbrechende Entdeckung von Forschern des Max-Planck-Instituts in Halle – könnten die Informationstechnologie der Zukunft revolutionieren.

27. September 2024

Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik in Halle und ihren internationalen Partnern ist es gelungen, erstmals sogenannte Monopole des orbitalen Drehimpulses in chiralen Materialien nachzuweisen. Diese Monopole könnten eine Schlüsselrolle in der Entwicklung neuer Speichertechnologien spielen. Die bahnbrechende Entdeckung wurde in der renommierten Fachzeitschrift *Nature Physics* veröffentlicht und könnte die Entwicklung der „chiralen Elektronik“ vorantreiben.

In der heutigen Elektronik wird Information durch die elektrische Ladung von Elektronen übertragen. Zukünftige Technologien könnten jedoch eine andere Eigenschaft der Elektronen nutzen: ihren Drehimpuls. Bisher lag der Fokus auf dem sogenannten Elektronenspin, einer Art innerem Drehimpuls, der ein magnetisches Moment erzeugt. Dieser Spin war lange der vielversprechendste Kandidat für zukünftige elektronische Anwendungen. Jetzt untersuchen Forscher jedoch ein neues Feld, die Orbitronik, die den Drehimpuls der Elektronen nutzt, der dadurch entsteht, dass Elektronen den Atomkern umkreisen. Orbitronik könnte besonders in Speichermedien nützlich sein, da sie große Magnetisierungen bei geringem Energieverbrauch erzeugen könnte – ein wesentlicher Vorteil in Bezug auf Energieeffizienz.

Ein zentrales Problem der Orbitronik war es bisher, die richtigen Materialien zu finden, die große orbitale Polarisationen erzeugen können. In der Vergangenheit wurden Fortschritte mit herkömmlichen Materialien wie Titan erzielt. Chirale Materialien, die häufig eine schraubenförmige atomare Struktur haben – ähnlich wie die DNA-Doppelhelix – bieten jedoch eine vielversprechende Alternative. Diese Materialien besitzen von Natur aus spezielle orbitale Strukturen, die sie besonders interessant für Orbitronik machen.

„Chirale Materialien werden voraussichtlich bedeutende Quellen für orbital polarisierte Elektronen sein, die zur Entwicklung energieeffizienterer Speichertechnologien beitragen könnten“, erklärt Dr. Niels Schröter, der die Studie am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik federführend leitete.

Die perfekte Lösung für die Orbitronik: Stachelige „Igel“

Ein weiterer spannender Aspekt dieser Materialien ist, dass sie Monopole des orbitalen Drehimpulses in ihren elektronischen Strukturen enthalten können. Normalerweise erwarten wir in Magneten zwei Pole, einen Nord- und einen Südpol. Ein isolierter Monopol widerspricht diesen Regeln.

An diesen Monopolen strahlt der Drehimpuls wie die Stacheln eines Igel aus, der sich zu einer Kugel zusammenrollt. Dies ist besonders attraktiv, weil der Drehimpuls in alle Richtungen gleichmäßig verteilt ist – er ist isotrop.

„Das macht diese Materialien besonders, da die Richtung, in der der orbitale Drehimpuls polarisiert ist, nur von der Richtung des injizierten Ladungsstroms abhängt und nicht von der Orientierung des Kristalls“, sagt Dr. Jonas Krieger, ehemals Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik, der das experimentelle Team leitete, das die Entdeckung machte. Dr. Krieger ist jetzt Tenure-Track-Wissenschaftler am Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz, wo er weiterhin eng mit seinen Kollegen aus Deutschland zusammenarbeitet.

Aber wo verstecken sich die Monopole?

Monopole des orbitalen Drehimpulses in chiralen Kristallen waren lange ein theoretisches Konzept, das bisher nicht experimentell nachgewiesen werden konnte. Der Durchbruch gelang mit einer speziellen Technik, die den zirkulärer Dichroismus in der in winkelaufgelöster Photoelektronenspektroskopie ausnutzt. Dabei wird untersucht, wie ein Material unterschiedlich auf Licht reagiert, das sich in verschiedene Richtungen dreht – also links- oder rechtsdrehend polarisiertes Licht. Diese unterschiedlichen Reaktionen halfen den Forschern, die Struktur und den orbitalen Drehimpuls der Elektronen im Material besser zu verstehen.

„Es gab jedoch eine Lücke zwischen Theorie und Experiment. Forscher hatten möglicherweise die richtigen Daten, aber der Beweis für die Monopole war darin versteckt“, erklärt Dr. Schröter.

Das Problem bestand darin, die komplexen Daten, die mit CD-ARPES gewonnen wurden, richtig zu interpretieren. Bei dieser Technik wird Licht auf das Material gestrahlt, wodurch Elektronen herausgeschleudert werden. Die Winkel und Energien dieser Elektronen geben Einblicke in die elektronische Struktur des Materials. Es wurde zunächst angenommen, dass man durch den Einsatz von polarisiertem Licht direkt den orbitalen Drehimpuls der Elektronen messen könnte.

„Diese Annahme war zu einfach. Unsere Studie hat gezeigt, dass die Realität viel komplexer ist“, sagt Prof. Michael Schüler vom Paul Scherrer Institut, der die theoretischen Modelle zur Datenanalyse entwickelte.

Des Rätsels Lösung auf der Spur

Um den Nachweis der OAM-Monopole zu erbringen, untersuchten Schröter, Krieger, Schüler und ihr Team zwei Arten von chiralen Kristallen, die am Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden in der Gruppe von Prof. Claudia Felser synthetisiert wurden.

Durch den Vergleich der experimentellen Daten mit den theoretischen Modellen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass das Signal der CD-ARPES-Messungen komplexer war als ursprünglich angenommen. Sie bewiesen, dass die Monopole tatsächlich existieren und dass ihre Merkmale unabhängig von den Bedingungen stabil blieben. „Das war der entscheidende Beweis“, erklärt Schröter. „Diese Merkmale konnten nur durch die Existenz von OAM-Monopolen erklärt werden.“

Ein faszinierendes Ergebnis der Forschung war, dass die Polarität des Monopols – also ob die Spitzen des orbitalen Drehimpulses nach innen oder außen zeigen – durch die Verwendung eines Kristalls mit spiegelbildlicher Chiralität umgekehrt werden konnte. „Wir haben somit eine Struktur-Eigenschafts-Beziehung entdeckt, die es uns ermöglicht, die orbitale Polarisation über die strukturelle Chiralität des Kristalls zu steuern“, sagt Schröter.

Zukunft: Das Zentrum für Chirale Elektronik

Diese Entdeckung ist nicht nur ein bedeutender Meilenstein in der Orbitronik, sondern passt auch perfekt zu den Zielen des neu geplanten Zentrums für Chirale Elektronik, einer gemeinsamen Initiative des Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik und der Universitäten in Halle, Berlin und Regensburg. Das Zentrum hat das Ziel, neue, effizientere Technologien zur Datenspeicherung und -verarbeitung zu entwickeln. Durch die Erforschung der einzigartigen Eigenschaften chiraler Materialien sollen neue Geräte mit fortschrittlichen Funktionen entwickelt werden.

Text: Adaptiert vom Paul Scherrer Institute / Miriam Arrell

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